Ich habe das folgende Zitat bereits vor einigen Jahren als Fundstück zur Seite gelegt. Ich hatte es nicht nur im Buch markiert, sondern mir sogar in ein Notizbuch geschrieben. Dieser Tage fiel es mir wieder in die Hände und meine damalige Intention hat auch nach so langer Zeit Bestand: Ich bin von diesen Zeilen immer noch angetan. Es ist ein wunderschönes Stückchen Text. Die Autorin beschreibt einfühlsam, wie der Gelehrte Winkelmann bei der Beschreibung einer antiken Statue den richtigen Worten nachspürt, um die beste Formulierung ringt, den perfekten Text zu Papier bringen will. Doch lest selbst:
》… er zog sein Schreibheft hervor und mühte sich, die Einsichten seines überwältigten Herzens wiederzugeben. “Sein Gang”, so pries er die Statue Apollos, “ist wie auf flüchtigen Fittichen der Winde.” Mit diesen Worten erschien ihm die große Bewegung, die den gestreckten Leib, das Bein, den Arm gleichzeitig in herrlichem Schwung vorwärts trieb, am treffendsten erfasst. Er murmelte halblaut die Worte, fühlte die Laute und versuchte mit ihnen die federnde Kraft nachzumalen, die Anmut dieses dahinfliegenden Schreitens.
Leicht und aufrecht gehen – war es nicht ein Merkmal des Menschen? „Keine Anstrengung der Kräfte und keine lasttragende Regung der Glieder spürt man in diesen Schenkeln. In der schlanken aufrechten Gestalt schon liegt die Göttlichkeit. Ein geistiges Wesen hat sich aus sich selbst und aus keinem sinnlichen Stoff eine Form gegeben. Die Gottheit der Sonne selbst erscheint hier in menschlicher Gestalt.“
Dann ließ er die Feder ruhen, schaute aufs neue, besann sich, überlas kritisch das Niedergeschriebene, feilte und änderte; kein Vergleich wollte genügen, kein Wort genau treffen. Er suchte nach sprechenden Bildern, mehr noch: Er lauschte in den Tonfall der Sätze, damit selbst ihr Rhythmus noch sprach und charakterisierte. Er wurde dabei selber zum Künstler, zum Dichter.
Drei ganze Monate lang arbeitete er an der Beschreibung dieser einzigen Statue. 《
Jutta Hecker in „Traum der ewigen Schönheit“
Ich finde diese Textpassage herrlich. Wenn man bedenkt, dass es darum ging, eine in einem römischen Depot stehende griechische Statue zu beschreiben. Das nenne ich Qualitätsanspruch, nicht nur was Winckelmann betrifft. Auch die Worte von Jutta Hecker haben Beachtung verdient. Ihr ist nicht nur hier eine ausnehmend schöne Passage gelungen, der ganze Roman ist ein Lesevergnügen.
„Traum der ewigen Schönheit“ ist ein biografischer Roman über den Altertumsforscher Winkelmann. Ich habe ihn bereits zwei Mal gelesen. Geschrieben wurde er von Jutta Hecker (1904-2002), einer Schriftstellerin aus Weimar. Das Buch erzählt das Leben von Johann Joachim Winckelmann (1717-1768), einem Archäologen und Antiquar in der Zeit der Aufklärung. Er gilt als Mitbegründer der wissenschaftlichen Archäologie und Kunstgeschichte. Er wurde in Stendal an der Elbe geboren und starb im italienischen Triest.
(c) Lutz Schafstädt – 2021
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