Das niedersorbische Dorf Schlepzig ist ein beliebtes Ausflugsziel im Unterspreewald, keine 70 Kilometer südlich von Berlin, etwa auf halber Strecke zwischen Märkisch Buchholz und Lübben.
Besuche: Mai 2023 | Juni 2021 | August 2010
28. Mai 2023 – Pfingstsonntag
Für das Pfingstwochenende war sommerliches Wetter vorausgesagt, deshalb lag die Frage auf der Hand: Was machen wir am Sonntag? Einen Tagesausflug. Wie wäre es mit Schlepzig? Dort waren wir schon eine Weile nicht mehr. Also los.
Schlepzig ist ein niedersorbisches Dorf und liegt im Unterspreewald. Es gehört zum nördlichsten Teil der sumpfigen Flusslandschaft, wo sich die Spree in ungezählte Nebenarme zerteilt. Von uns in Potsdam aus gesehen das am schnellsten zu erreichende Stück Spreewald, beliebt als Ausflugsziel doch bei weitem nicht so stark frequentiert wie die die Hotspots Lübbenau oder Burg. So jedenfalls haben wir das kleine Dorf von unseren früheren Besuchen in Erinnerung. Beschaulich und entspannt, mit schläfrig dreinblickenden Kühen und Bisamratten beim Rückenschwimmen. Was wir nicht bedacht hatten: Es war Feiertag und die lachende Sonne weckte nicht nur bei uns die Lust auf einen Trip in die Natur.
Bei unserer Ankunft in Schlepzig wurden wir unmittelbar aus unserer Illusion gerissen. Alle Straßen waren mit Autos zugestellt, kein Parkplatz weit und breit. Wir sahen unsere Hoffnungen schwinden, denn es war gerade erst später Vormittag und damit sehr unwahrscheinlich, dass die Autos mit Kennzeichen aus aller Herren Länder ihren gerade erst ergatterten Stellplatz so bald wieder verlassen würden. Doch das Glück war mit uns. Ein Pärchen schlenderte nicht vom Parkplatz weg, sondern ihm entgegen. Wir rollten langsam hinterdrein, erfragten unsere Chance und brachten uns sprungbereit in Stellung.
Bis zum Ortszentrum war es nun nur noch ein kurzer Spaziergang. Zwar waren viele Leute unterwegs, doch alle waren freundlich und entspannt, es gab genug Platz für alle. Selbst in den Restaurants und an den Imbissständen musste niemand lange warten oder sich um einen Sitzplatz sorgen. Insgesamt stellten wir fest, dass sich Schlepzig über die Jahre stark professionalisiert hat, was den Tourismus betrifft. Die Einheimischen sind geschäftstüchtig und haben ihre Angebote pfiffig über das das ganze Dorf verteilt. Überall gibt es Möglichkeiten, sich eine Kahnfahrt zu buchen, ein Kanu auszuleihen, einzukehren oder einfach an einem lauschigen Fleckchen zu verweilen. So verteilt sich das Besucheraufkommen schnell in die Fläche.
Im Hof der Brennerei war der Grill angeheizt und die Bar geöffnet, am Weidendom gab es das ultimative Spreewald-Menü aus Quark, Leinöl und neuen Kartoffeln in zünftigen Töpfchen als Fast-Food-Variante, gleich nebenan konnte, wer wollte, sich an einem Restauranttisch mit Seeblick ein Spargelgericht servieren lassen, am großen Kahnhafen schließlich waren Schmalzbrote mit knackfrischer Kruste und Spreewaldgurke im Angebot.
Wir machten auf unserer Spazierrunde immer mal wieder irgendwo Station. Eine Kahnfahrt wollten wir diesmal nicht machen, wir blieben auf den Wanderpfaden entlang der Wasserwege, schauten dem Treiben der Kähne zu und erfreuten uns der Natur an den Ufern, auf den Wiesen und in den Hausgärten. Schlendern und Durchatmen waren angesagt.
Zwischen der Hauptspree und den Fließen (so heißen hier die vielen Nebenarme der Spree) wird mancherorts der Wasserstand mit Schleusen geregelt. Sie sind nicht sehr groß, mit einem Ausflugskahn ist die Schleusenkammer bereits gut gefüllt. Diese haben bei der Abfertigung offenbar Vorrang und die vielen Freizeitkanuten müssen sich in Geduld üben. Als wir vorbeikamen, hatte sich gerade ein beträchtlicher Stau gebildet. Der Schleusenbediener tat sein Bestes, die Tore wurden jedoch mit Kurbel und Muskelkraft betrieben, und so nahm der Vorgang des wechselseitigen Öffnens und Schließens jedes Mal eine Weile in Anspruch. Der Schleuser war außer fleißig auch clever. Er hatte zwei Knaben aus seiner Verwandtschaft dabei, die bei jeder Schleusung lauthals verkündeten, dass dieser Service ehrenamtlich sei und mit einem zwanglosen Obolus anerkannt werden könne. Erwartungsvolle Blicke von oben, Freiwilligkeit am Boden der Schleusenkammer. So lieben Dienstleister ihre Kunden, dachte ich schmunzelnd. Und schon beendeten die Jungs ihre kindlich verschämte Reglosigkeit und balancierten flink über die Begrenzungsmauern zu den bereitgestellten Spendentöpfen, um sie vor dem nächsten Durchgang zu leeren. Ein lukratives Geschäftsmodell, alle Achtung. Andererseits: Über Stunden ohne Pause die bestimmt nicht leichtgängige Kurbel zu bedienen, hat wahrlich eine Anerkennung verdient. Trotzdem bin ich mir sicher, dass der Schleuser keine Motorwinde auf seinem Wunschzettel hat.
Überall auf den Fließen waren Paddelboote unterwegs. Es war idyllisch anzuschauen, wie sie auf dem Wasser dahinglitten. Ein schöner Freizeitsport und unweigerlich bekommt man Lust, es selbst einmal zu versuchen. Ob wir das auch könnten? Während wir noch diesem Gedanken nachhingen und uns bei einem kleinen Hofcafé zu den Leuten am Spreeufer gesellten, präsentierte sich uns ein mögliches Szenario: Ein Zweier-Kanu kam herangetaumelt. Immer wieder hing es mit der Spitze in den Uferpflanzen oder stupste andere Boote an. Die Aufmerksamkeit der Leute an ihren Tischen und auf dem Rasen entlang der Böschung war ihm augenblicklich gewiss. Schon rumpelte es gegen die kleine Anlegestelle. Der Kanute vorn im Boot rief den Zuschauern zu: „Sorry, ich mache das heute zum ersten Mal.“ – „Ach was, das merkt man gar nicht“, kam es aufmunternd vom Ufer zurück. Das Lachen steckte an, das Paddeln wurde hektischer, das kleine Plastikboot kratzte geräuschvoll an einem Holzpfosten entlang und schlingerte der nächsten Biegung entgegen. So ein Bild würden wir vermutlich auch abgeben. Vielleicht trauen wir uns trotzdem irgendwann auch einmal.
Die Stunden im Spreewald vergingen wie im Flug. Wir haben den Tag in Schlepzig sehr genossen und es wird garantiert nicht unser letzter Besuch gewesen sein.
4. Juni 2021 – Geimpft in den Unterspreewald
Uns zieht es wieder einmal nach Schlepzig. Lange Monate mit verordneter Ausflugsabstinenz liegen hinter uns. Es ist unser erster Trip als doppelt Corona-Geimpfte und wir haben vor, uns endlich wieder ein paar Freiheiten zu gönnen. Es heißt, die Mehrheit der Erwachsenen hierzulande sei inzwischen geimpft und die Zahl der Neuinfektionen sinke.
Es ist zu spüren, dass nach Lockdowns und anderen Einschränkungen das normale Leben erst langsam wieder in Gang kommt. Das Brauhaus und sein Biergarten direkt an der Hauptspree in Schlepzig haben geöffnet und sind gut besucht. Aber so einfach hinsetzen ist nicht. Wer Platz nehmen will, muss sich registrieren. Wir scannen den Code der Luca-App und gönnen uns Schnitzel mit Spargel. Es ist herrlich, hier im Spreewald wieder einmal mit Blick in die Idylle im Freien zu sitzen.
Auch Kahnfahrten werden wieder angeboten, doch das Interesse scheint gering. Wir sehen einen Kahn, der sich mit nur drei Gästen auf seinen Rundkurs begeben hat. Offensichtlich tun nicht nur wir uns mit der Vorstellung schwer, mit fremden Leuten in einen engen Boot auf Tuchfühlung zu gehen. Das wäre uns auch zu kuschelig. Man muss sich erst langsam wieder antrainieren, etwas weniger Distanz zu tolerieren. Wir beschränken uns auf einen Spaziergang am Kahnhafen und durch das Dorf. Die Wege gehören uns, die Höfe und Läden sind meist geschlossen, die Kähne dümpeln vor sich hin.
Auf dem Rasen beim Kahnhafen vertreibt sich ein Nutria – auch Bisamratte genannt – die Zeit. Er schwimmt etwas umher, knabbert ein paar Blätter aus der Wiese, wandert ungestört ein wenig in der Sonne hin und her. Wir schauen eine Weile zu und pirschen uns dann für ein Foto näher heran. Als ihm das zu nah wird, springt er zurück ins Wasser und schwimmt davon. Dabei zieht er eine markante Wellenspur in die spiegelglatte Spree. Abstand halten, das hat sich bis in die Tierwelt herumgesprochen.
Wir haben wieder einmal einen schönen Nachmittag in Schlepzig verbracht. Wie gesagt, noch nicht überall waren die Dienstleister schon wieder am Start und für manchen kann es sein, dass der Start in die neue Saison einfach zu spät kommt. Hoffentlich wird es ein schöner Sommer, der viele Gäste in den Spreewald lockt.
22. August 2010 – Idylle im Biosphärenreservat
Unser erster Besuch in Schlepzig. Der Tag war sommerlich warm, doch von häufigen Schauern durchsetzt. Das Wasser stand hoch in den Gräben und Kanälen. Als wolle die Spree aus ihrem Bett heraus, waren Ufer und Stege überspült, stand die Nässe auf den Wiesen, sauste der Fluss dahin. Doch ich will nicht vorgreifen. Zunächst einmal: Unser Ausflug führte in den Unterspreewald, in das niedersorbische Dorf Schlepzig, gelegen ungefähr auf halbem Wege zwischen Märkisch Buchholz und Lübben.
Wohl dem wechselhaften Wetter geschuldet, waren nicht viele Besucher im Ort. Wir fanden problemlos einen Parkplatz, spazierten ein wenig durch das Dorf und gönnten uns einen Kaffee im Freien, in der Nähe des Kahnhafens. Die Anzahl der Tische und Bänke deutete darauf hin, dass man hier ganz anderen Ansturm kannte.
Ein hübsch angelegter See mit Liegewiese und Holzbrücke in einer parkähnlichen Wiesenlandschaft, über der gerade aus einer Wolkenlücke heraus die Sonne lachte, lockte uns an. Nach wenigen Schritten durch das Gras mussten wir die Sandalen ausziehen. Gurgelnd quoll Wasser aus dem sumpfigen Untergrund, in dem wir knöcheltief versanken.
Wir besuchten ein paar Kühe, die uns mit trägen Kopfbewegungen nur beiläufig registrierten. Ein Greifvogel flog über unsere Köpfe hinweg. Noch ehe wir ihn erkennen und benennen konnten, war er hinter den Bäumen verschwunden.
Würde das sonnige Wetter die nächste Stunde halten? Die Wolken zogen schnell und sahen schwer beladen aus. Doch man kann nicht in Schlepzig gewesen sein, ohne eine Kahnfahrt gemacht zu haben. Also gingen wir zum Hafen und warteten auf die nächste Abfahrt.
Der Unterspreewald ist Biosphärenreservat, erklärte uns der Kahnführer. Die Eingriffe des Menschen in die Natur sollen schrittweise wieder rückgängig gemacht werden, damit der Spreewald hier wieder seine Ursprünglichkeit entfalten kann. Wer den Spreewald von Kahnfahrten in Lübbenau und anderswo kennt, wird erstaunt sein. Fast keine Gärten, Häuser und Stege säumen hier das Ufer, sondern wirklich nur die Natur. Sie fühlt sich an, wie ein Urwald, mit wuchernden Büschen und abgeknickte Bäume. Mit ein wenig Vorstellungskraft meint man fast, den Amazonas auf einer Entdeckungsreise zu befahren.
Eine Ringelnatter kreuzte unseren Weg. Wir mussten uns mehrfach ducken, um herabhängenden Ästen auszuweichen. Von denen Bäumen rieselten die Tropfen der längst abgezogenen Schauer herab. Spreewaldidylle ringsum, von der unser Kahn-Kapitän in vielen Anekdoten zu erzählen wusste.
Um über den Puhlstrom zu setzen, der im Grunde wie eine Schnellpiste für das Spreewasser ist, musste der Motor angeschaltet werden, damit wir der munteren Strömung wieder entkommen konnten. Unerwartet deutlich trieben wir ab, als seien wir in Stromschnellen geraten. Doch schon im nächsten Nebenarm wurden die Spree und ihre Fließe wieder beschaulich. Die Rundfahrt endete an ihrem Ausgangspunkt im Dorf. An einem Hofladen kauften wir uns noch spreewald-aromatische Tomaten für das Abendessen und es begann erst zu regnen, als wir schon wieder im Auto saßen und uns auf den Heimweg machten. Manchmal kann Himmelsschleusenwärter Petrus also auch nett sein.
(c) Lutz Schafstädt – 2023
Unterwegs – Ausflüge und Reiseerinnerungen