Schlösser und Parks prägen Potsdam – und die Hohenzollernresidenz prägte auch die Landschaft drumherum. Die Potsdamer Kulturlandschaft ist auch an Orten präsent, an denen man meint, mitten in der Natur, in Feld und Flur zu sein.
Orte: Wildpark Potsdam (01/2021) | Lindenallee (04/2021)
31. Januar 2021 – Jagdrevier für Könige
Der Wildpark Potsdam befindet sich im Westen der Stadt, unweit des Parks Sanssouci. Er erstreckt sich, hinter dem Kaiserbahnhof beginnend, zwischen Bahnlinie, Forststraße und Bundesstraße 1 bis nach Geltow.
Es liegt Schnee in Potsdam, die Sonne scheint und es ist Sonntag. Was liegt näher als ein Spaziergang im Wald? Im Wildpark waren wir lange nicht. Wir beginnen unsere Runde am Forsthaus-Sanssouci-Tor gegenüber dem Kaiserbahnhof, wo die Hirschskulpturen den Eingang bewachen, und schlendern auf das große Wegekreuz zu. Wir sind hier bei weitem nicht allen, hinter dem Forsthaus ist trotz Corona-Lockdown einiges los, aber im Wegegeflecht des Wildparks zerstreuen sich die Besucher schnell. Die Familien haben Schlitten für die Kinder dabei, einige Leute sind mit Langlaufskiern unterwegs, doch wir Spaziergänger sind in der Mehrheit. Alle erfreuen sich an der Winterwelt, die heute besonders glänzt, weil der frisch gefallene Schnee sehr feucht ist und kleidsam an den Zweigen klebt. Sonne und Brise machen sich den Spaß, hin und wieder einen Schneeball aus dem Geäst auf den Weg zu werfen. Manchmal gibt es dort sogar eine Schulter zu treffen.
Vor uns liegt das Wegekreuz, der zentrale Punkt des Wildparks, an dem alle wichtigen Wege sternförmig zusammenlaufen. Dort steht, weithin sichtbar, ein großer Futterschirm. Er wurde einst von der Pfaueninsel hierhergeholt, um mit ihm den zentralen Knotenpunkt des Wegenetzes zu markieren. Hofgärtner Peter Joseph Lenné war ab 1840 mit dabei, als aus dem Wald ein Wildgehege wurde, das auch Elemente eines Parks aufweisen sollte. Es galt, einen königlichen Wald, ein Jagdrevier, den Wildpark zu gestalten. Der Futterschirm erweist sich bis heute als gute Idee. Auf den zentralen Wegen ist er schon aus der Ferne zu sehen und dient als nützliche Orientierungshilfe.
Interessant zu wissen ist auch, dass der Wildpark einst hunderte Hektar groß und komplett von einem 12 Kilometer langen Zaun umgeben war. Innerhalb des Geheges wurde Rot- und Damwild gehalten. Für die Hege, Pflege und Fütterung des Wildbestandes und für die Jagden des königlichen Hofes wurden im Wildpark einige Gebäude, wie die Wildmeisterei und die Forsthäuser, errichtet. So wurde immer für einen reichlichen Wildbestand gesorgt, was dem weidmännischen Stolz der herrschaftlichen Schützen auf ihre Jagderfolge keinen Abbruch tat. Einige Gedenksteine an den Wegen zeugen davon. Eine Inschrift lautet zum Beispiel: „Se. M. Der Kaiser Wilhelm I. erlegte hier einen weißen Edelhirsch von 12 Enden am 11. August 1884“. Der letzte Edelhirsch im Wildpark wurde nur ein Jahr später geschossen, danach neigte sich die große Zeit als Jagdgehehe dem Ende.
Eine weitere einschneidende Veränderung brachten die ausgehenden 50er Jahr des letzten Jahrhunderts. Mit der Errichtung des Eisenbahnringes um Berlin wurde eine Bahnlinie mitten durch den Wildpark gelegt. Damit war der Wildpark keine bis nach Geltow reichende zusammenhängende Waldfläche mehr.
Das alles muss man für einen Spaziergang durch den Wildpark nicht wissen. Es genügt, die Natur, die Waldluft und die Schönheit einer gestalteten Kulturlandschaft zu genießen. Und doch macht es Spaß, die eine oder andere Spur der Geschichte deuten zu können. Am Ende unserer Runde durch den Schnee stehen wir wieder vor den beiden Edelhirschen auf den Sockeln des Sanssouci-Tores. Sie sind Kunstwerke mit Geschichte: Der berühmte Bildhauer Christian Daniel Rauch hat sie geschaffen. Nach 1945 wurden sie von der Roten Armee abgebaut und in ihr militärisches Hauptquartier nach Wünsdorf gebracht. Erst 2006 kehrten die Hirsche wieder an ihren angestammten Platz zurück. Im Wildpark selbst sucht man lebendige Vertreter ihrer Art heute vergebens.
2. April 2021 – Eine Parkallee ins Wiesenland
Wir sind am Neuen Palais, hier ist der touristische Haupteingang zum Park Sanssouci. Die Lindenallee beginnt hinter dem Triumphtor und ist ein Spazierweg durch die Natur.
Es ist Karfreitag, wir wollen an die frische Luft und dabei größere Menschenmengen meiden. Wegen Corona wird vom Besuch beliebter Ausflugsziele abgeraten, kontaktarme Spaziergänge stehen hoch im Kurs. Wir fahren trotzdem zum Neuen Palais nach Sanssouci, doch wir haben nicht vor, der Mehrheit in den Park zu folgen. Wir werden ihnen den Rücken kehren und endlich einmal durch die Lindenallee schlendern.
Die Lindenallee ist so etwas wie die Verlängerung des Hauptweges durch den Park Sanssouci. Eine gedachte Linie führt schnurgerade von den Springbrunnen der Promenade im Park hin zur Freitreppe des Neuen Palais, mitten durch den Muschelsaal, über den Ehrenhof, durch den Triumphbogen und hinaus in die Landschaft. Die Linden markieren in strenger Ordnung eine scheinbar endlose Allee. In vier parallelen Reihen stehen die Bäume für drei Wege Spalier. Tatsächlich sind es gut zwei Kilometer, bis die Lindenallee kurz vor Golm in den Kuhfortdamm mündet. Doch zunächst ist das für uns nur ein kleiner Lichtpunkt am Ende der Sichtachse.
Vom Neuen Palais gesehen, ist der Weg auf der rechten Seite als Fahrradweg ausgebaut. Auf dieser Schnellpiste nach Eiche und Golm tummeln sich die Drahtesel und ihre rollende Verwandtschaft. Die mittlere Spur ist breiter als die beiden Seitenpisten und von Gras überwachsen. Der dritte Weg, ganz links, wird vorzugsweise von Wanderern und Gassigängern genutzt. Hier gesellen wir uns dazu.
Nach ein paar Sportanlagen der Uni Potsdam wird es kurz waldig, dann öffnet sich der Blick. Hinter Wiesen und Feldern ist das Dorf Eiche zu sehen, auf der anderen Seite die Bahnstrecke, die nicht weit entfernt am Kaiserbahnhof Station macht. Hinter den Gleisen beginnt der große Wildpark.
Es ist ein schöner Spaziergang. Die Strenge der Allee löst sich in der Landschaft auf. Auf den Wiesen grasen Pferde, hinter dem Kirchturm von Eiche erhebt sich ein bewaldeter Hügel. Weiße Wolkenschäfchen ziehen über den blauen Himmel und dosieren den Sonnenschein. Schneeglöckchen, Winterlinge und Blausternchen blühen. Die Lindenknospen plustern sich, der Regionalexpress brummt vorbei.
Die Anfänge der Lindenallee gehen in die Bauzeit des Neuen Palais im 18. Jahrhundert zurück. Gartendirektor Lenné hatte ursprünglich vor, den Schlosspark von Sanssouci Richtung Westen zu erweitern, doch es blieb bei einer kurzen Allee mit zwei Baumreihen, einigen Wegen und Hecken. Ab 1866 nahm sich Hofgärtner Sello der Sache an und schuf die Lindenallee in ihrer heutigen Länge und Gestalt. Dabei standen vor allem ästhetische Aspekte im Vordergrund. Die Parkelemente sollten allmählich in Äcker und Felder übergehen, der Blick von der Nähe in die Ferne, vom Detail zum Panorama gelenkt werden.
Die Lindenallee ist ein exemplarisches Beispiel für die gerühmte Potsdamer Kulturlandschaft. Gärtnerisch gestaltete Flächen verbinden sich mit der sie umgebenden Landschaft und werden mit Sichtachsen inszeniert. Ich habe gelesen, die Allee habe eine große kultur- und gartenhistorische Bedeutung. Es gibt noch ein paar Dissonanzen, wie zum Beispiel die Zweckbauten und Sportflächen direkt hinter den Communs am Eingang zur Lindenallee, aber sie werden künftig sicher schrittweise gemildert. Somit leidet derzeit am Anfang das Parkgefühl, doch der Spaziergang wird immer angenehmer, je mehr Landschaft ins Spiel kommt.
Die Allee endet am Kuhfortdamm. Die Straße schneidet sie einfach ab. Linksherum führt sie weiter nach Golm, rechtsherum zum Bahnübergang. Es bietet sich an, für den Rückweg durch den hinter der Schranke beginnenden Wildpark zu wandern. Der Weg ist etwas länger, doch die Wanderung durch den königlichen Wald bis zum Kaiserbahnhof ist eine Attraktion für sich. Wir entscheiden uns dagegen, wollen in der Sonne bleiben, und erleben die Lindenallee noch einmal aus der reizvollen Perspektive, sich mit jedem Schritt dem Schloss zu nähern und die goldene Krone auf der kupfergrünen Kuppel des Neuen Palais zwischen den Zweigen im Sonnenlicht strahlen zu sehen. Apropos Zweige: Wir werden noch einmal wiederkommen, wenn die Linden Blätter tragen und mit ihren Wipfeln zum Dach über den Wegen geworden sind.
(c) Lutz Schafstädt – 2023
Unterwegs – Ausflüge und Reiseerinnerungen