„Ein überragender Erzähler“, steht auf dem Buchdeckel. Die Erfahrung rät, bei solchen Hinweisen skeptisch zu sein, doch in diesem Fall kann ich mich nur begeistert anschließen. Ich hatte von Werner Bräunig noch nichts gelesen, am Rande war mir sein Name schon begegnet, als früh verstorbener DDR-Autor, der in den 60er Jahren der Obrigkeit ein Dorn im Auge war. Stein des Anstoßes war sein Erstlingswerk „Rummelplatz“. Walter Ulbricht bekam den Roman wohl in die Hände und er gefiel ihm nicht – ein Signal für kollektive Kritik im offiziellen Literaturbetrieb und auf Halblaut gestelltes Thema innerhalb der interessierten Leserschaft. Komplett veröffentlicht wurde Bräunigs Buch vor der Wende nie.
Gelesen habe ich seinen Erzählband „Gewöhnliche Leute“. Die Sammlung widmet sich in unterhaltsamen Episoden dem Alltag normaler Menschen. Das klingt nicht sehr werbewirksam. Es ist auch nicht spektakulär, was da zur Sprache kommt, doch die Beschreibungen und Charakterisierungen entwickeln einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Bräunig war ein präziser Beobachter mit einem sicheren Gespür für das richtige Detail. Er erweckt mit leichter Hand Szenerien zum Leben und taucht sie in die individuelle Sicht seiner Helden. Was er schreibt, fühlt sich echt an. Immer wieder war ich verblüfft, wie schnell es ihm gelingt, mich mit nur wenigen Zeilen in seinen Erzählfluss zu ziehen. Oft blätterte ich zurück, fragte mich ehrfürchtig: Wie hat er das gemacht?
Die Geschichten entwickeln sich aus lapidar hingeworfenen Eindrücken oder Geschehnissen. Einmal angestoßen, entfalten sie sich mit großer Intensität und Konsistenz. Nichts bricht sich oder hängt in der Luft. Satz für Satz, Gedanke für Gedanke fügen sich nahtlos aneinander. Immer wieder fühlt man sich als stiller Zuhörer einer entspannten Plauderei am Biertisch oder an der Straßenecke. Es sind Geschichten zum Miterleben, mit starken Bildern.
Die Erzählungen erschienen erstmals noch zu Lebzeiten Bräunings. Die Ausgabe, die ich gelesen habe, enthält darüber hinaus einige unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass, darunter mit „Stalins Blick“ und „Damals in kurzen Hosen“ für mich wirkliche Kostbarkeiten der Erzählkunst. Alle, die weniger nach spektakulären Abenteuern, sondern mehr nach wunderbar erzählten Geschichten auf der Suche sind, sollten sich einmal die Zeit nehmen, vielleicht diese beiden Beispiele anzulesen. Es wird nur wenige Zeilen dauern bis klar ist, dass dieses Buch das Lesen lohnt.
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(c) Lutz Schafstädt – 2022
Meine Lesezeichen – Gedanken über Bücher