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„Die Moral der Banditen“ von Horst Bastian

Es ist ein Lieblingsbuch meiner Jugend. Nicht nur im Sinne von: Ich habe es gern gelesen. Ich liebte es innig. Ich erinnere mich, dass es bei dem abendlichen Gedankenspiel, welche Dinge ich nach einem Blitzschlag aus meinem brennenden Zimmer retten würde, eine Weile zu den Kostbarkeiten meiner Welt gehörte. Später wurden die Bücher von Schallplatten abgelöst, aber das nur zur Orientierung, in welchem Alter ich damals ungefähr war.

„Die Moral der Banditen“ erschien Mitte der 1960er Jahre in der DDR, ich habe das Buch in den frühen Siebzigern gelesen. Einige Jahre später gab es auch eine Verfilmung, doch davon wusste ich damals nichts und in meinem Heimatdorf gab es ohnehin kein Kino.

Ein Dorf im Brandenburgischen ist auch der Handlungsort des Buches. Im Roman heißt es Bötzow und ist sicher fiktiv. Für mich damals war es real. Auch wenn die Geschichte unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges spielt, waren der Dorfalltag, die Protagonisten, das Gebaren der Erwachsenen, die Logik der Jungen mir vertraut. Ich suchte auf der Landkarte, fand ein Bötzow nahe Hennigsdorf nordöstlich von Berlin, und war felsenfest davon überzeugt, dass sich das, was ich las, genau so und genau dort zugetragen hat. Jahre später, als ich zum ersten Mal durch Bötzow fuhr, schaute ich mich unwillkürlich um, ob ich vielleicht den einen oder anderen Schauplatz erkenne. Man kann ja nie wissen …

Natürlich ist das Haus nur ausgedacht, in dem Druga mit seiner Mutter wohnte. Sie waren aus Berlin vor den Bombennächten hierher geflohen und blieben hängen. Der Krieg ist zwar vorbei, doch die Nazizeit wirkt nach. Die Welt ist im Umbruch, das Recht des Stärkeren gilt. Weil der empfindsame Junge Druga nicht zu den Starken zählt, trifft es sich gut, dass er sich mit Albert anfreundet. Albert verschafft sich durch brutale Prügeleien Respekt und ist Anführer einer Bande aus Kindern des Dorfes, den „Banditen“.

Die Freundschaft zwischen Druga und Albert und die Wirren der Nachkriegszeit stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Den Spannungen in der Erwachsenenwelt, mit Schwarzhandel, Machtkämpfen, Hunger und Not, setzt die Kinderbande ihre eigene Auffassung von Gerechtigkeit entgegen. Sie stehlen, nehmen sich was sie brauchen, raufen sich mit Gleichaltrigen, bestrafen, wer nach ihrem Empfinden Strafe verdient. Sie kämpfen gegen prügelnde Väter, gegen Schieber, gegen die neue Ordnung – und fühlen sich im Recht. Im Grunde aber imitieren sie nur, was die Erwachsenen ihnen vorleben. Von den Faschisten wollen sie nichts wissen, aber auch die Jungen Pioniere sind ihnen suspekt. Sie haben allem und jedem den Kampf angesagt.

Ein junger Neulehrer nimmt sich der Sache an. Er findet Verbündete im Dorf und baut eine Pioniergruppe auf, die als Gegenentwurf zur Bande zunehmend akzeptiert wird. Als die Bande um die Anführer Albert und Druga sich langsam aufzulösen beginnt, erschüttert ein dramatischer Zwischenfall die Freundschaft der beiden …

Mehr von der Handlung will ich nicht verraten. Das Buch ist spannend und berührend zugleich. Es ist ein Stück Zeitgeschichte, der einen glaubhaften Blick in das damalige Dorfleben eröffnet. Für mich war das authentische Lebenswirklichkeit. Natürlich schwingt eine gehörige Portion Ideologie mit, SED-Propaganda würde man heute sagen. Auch ohne das Wort Sozialismus zu bemühen, geht es um die Umwälzungen einer sich erneuernden Gesellschaft, um die Hoffnungen der jungen Generation, um Gerechtigkeit, Verantwortung und Freundschaft.

Das Buch hat es verdient, gelesen zu werden. Leider ist es nur noch in antiquarischen Buchhandlungen zu finden. Ich empfehle es jedem, der nachempfinden möchte, wie das damals war, auf dem Land in Brandenburg, kurz nach dem Krieg und kurz vor der DDR.

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(c) Lutz Schafstädt – 2023
Meine Lesezeichen – Gedanken über Bücher

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