Mein Fundstück ist ein Faltblatt, das mir neulich in die Hände fiel. Es wirbt für „Die geretteten Götter aus dem Palast Tell Halaf“, eine Ausstellung auf der Berliner Museumsinsel im Jahr 2011. Ich war damals dort und erinnere mich gut, wie beeindruckt und bewegt ich war, von den Artefakten aus der Eisenzeit. Sie sind die Fundstücke, von denen ich erzählen will. Erst lagen sie für Jahrtausende verborgen im Boden Vorderasiens, wurden entdeckt und bewundert, dann zerstört und in einem Keller wieder vergessen.
Bei der Sonderschau im Pergamonmuseum 2011 ist ihre Rekonstruktion abgeschlossen. Die steinernen Götter und Fabelwesen sind wiedererstanden, doch ihre Wunden, ihre Narben, sind unübersehbar. Aus winzigen Fragmenten wurden sie wieder zusammengesetzt. Ein unvorstellbares Puzzle, wenn man sich die Oberfläche der Skulpturen anschaut.
Die Exponate sind Tausende Jahre alt, doch das Interesse der Besucher richtet sich vor allem auf die letzten hundert Jahre, in denen die Altertümer in Berlin waren. Hier wurden sie zuerst gefeiert, dann zerbarsten sie und galten als verloren.
Es ist ein beklemmendes Gefühl, vor den Paletten mit ausgebreiteten Bruchstücken zu stehen, die keinem der Bildwerke zugeordnet werden konnten, obwohl Muster und Bearbeitungsspuren darauf zu erkennen sind. Die Splitter lassen erahnen, wie herausfordernd es war, sie wieder zu Reliefs und Figuren zusammenzufügen. Unvermeidlich kommt der Gedanke auf, sie wären vielleicht besser im syrischen Boden geblieben oder zumindest später entdeckt worden. Doch das wäre ungerecht gegenüber dem Entdecker Max von Oppenheim, der die Katastrophe nicht voraussehen konnte. Er musst mit ansehen, wie seine archäologischen Kostbarkeiten in Trümmer fielen.


1911 begann Oppenheim im Nordosten Syriens mit Ausgrabungen im Tell Halaf, wo sich lange vor unserer Zeitrechnung ein Fürstenpalast erhob. Über mehrere Jahre wurden monumentale Götterfiguren, Steinskulpturen, Reliefplatten und viele Kleinfunde entdeckt. Sie waren eine wissenschaftliche Sensation. Ein Teil der Funde gelangte nach Berlin, wo Oppenheim in einer ehemaligen Maschinenhalle ein viel beachtetes Privatmuseum eröffnete.
Diese eigentlich typische Geschichte der öffentlichen Präsentation archäologischer Ausgrabungen fand im Zweiten Weltkrieg im November 1943 ein abruptes Ende. In einer Bombennacht wurde das Tell-Halaf-Museum zerstört. Es brannte vollständig aus, glühendes Gestein zerbarst unter dem kalten Löschwasser, die frostigen Winternächte ließen jede Fuge im Basalt zerplatzen. Die Steinskulpturen zerfielen in kleinste Trümmer. Geschätzte 27.000 Teilstücke wurden geborgen und im Keller des Pergamonmuseums eingelagert, wo sie in Vergessenheit gerieten, da eine Rekonstruktion als unmöglich galt.
Erst nach der Jahrtausendwende machten sich Wissenschaftler und Restauratoren daran, die zahllosen Fragmente zu sichten und anhand alter Fotografien den einzelnen Steinfiguren zuzuordnen. Angesichts des Zerstörungsgrades und der Anzahl der Monumente war dies eine unglaubliche Aufgabe. Doch sie gelang. Die einzigartigen Steinbilder können wieder bestaunt werden, übersät mit den Spuren der erlittenen Verletzungen. So vereint sich die Hochachtung vor der Kunstfertigkeit der Steinmetze vor Jahrtausenden mit dem Respekt vor der Leistung der heutigen Wissenschaft. Doch der Blick zurück auf die Monumente des fernen Fürstenpalastes von Tell Halaf bleibt für immer mit der Zerstörung verbunden, die wir – als vermeintlich hoch entwickelte Zivilisation – uns selbst, unseren Städten und unserem kulturellen Erbe in den Kriegen der Neuzeit zugefügt haben.
Die Artefakte sind gegenwärtig wieder eingelagert. Sie gehören der Freiherr von Oppenheim-Stiftung und sollen nach Abschluss der Sanierungsarbeiten auf der Museumsinsel erneut in Berlin zu sehen sein. Ich habe gelesen, dass die Fassade des Palastes von Tell Halaf ein Blickfang des Vorderasiatischen Museums werden soll. Wenn es so weit ist, werde ich mir die Monumente aus Steinsplittern noch einmal anschauen.
(c) Lutz Schafstädt – 2025
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