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Heidelberg: Altstadtidylle und Schlossromantik

Heidelberg ist die älteste Universitätsstadt Deutschlands. Die ehemalige kurpfälzische Residenz am Neckar ist weltberühmt für ihre barocke Altstadt und die romantische Schlossruine.


April 2015 | Heidelberg wird besungen und gerühmt – und es gibt wohl nur wenige, die nicht von der Stadt zumindest gehört haben. Heidelberg gilt in aller Welt als Inbegriff deutscher Barock-Romantik. Eine Ansichtskarte genügt und man bekommt Lust auf einen Besuch. Das Beste daran: Die Vorfreude ist berechtigt.

An meiner Vorfreude hatte ich Mark Twain mitwirken lassen. Ich nahm seinen „Bummel durch Europa“ zur Hand, denn ich wusste, dass er über Heidelberg schwärmerische Zeilen geschrieben hatte. Weil sein Reisebericht so schön ist, will ich meinem Beitrag einen kurzen Abschnitt zur Einstimmung voranstellen. Das sagte er über den Blick aus seinem Heidelberger Hotelfenster:

„Aus einer schwellenden Woge leuchtend grünen Laubwerks erhebt sich, einen Büchsenschuss entfernt, die gewaltige Ruine des Heidelberger Schlosses mit leeren Fensterbögen, efeugepanzerten Zinnen, verwitternden Türmen – der Lear der unbelebten Natur – verlassen, entthront, sturmgepeitscht, aber noch immer fürstlich und schön. Es ist ein prächtiger Anblick, wenn das Abendsonnenlicht plötzlich den belaubten Abhang am Fuße des Schlosses trifft, an ihm emporschießt und es wie mit leuchtender Gischt übergießt, während die angrenzenden Gehölze in tiefem Schatten liegen. Hinter dem Schloss erhebt sich ein ansehnlicher kuppelförmiger, bewaldeter Berg, und hinter diesem einer, der noch stattlicher und höher ist. Das Schloss blickt hinunter auf die dichtgedrängte Stadt mit ihren braunen Dächern; und von der Stadt aus überspannen zwei malerische alte Brücken den Fluss. Nun weitet sich der Ausblick; durch den Torweg zwischen den postenstehenden Vorgebirgen sieht man hinaus auf die weite Rheinebene, die sich sanft und in satten Farbtönen hindehnt, allmählich und traumhaft verschwimmt und schließlich unmerklich mit dem fernen Horizont verschmilzt. Ich habe noch niemals eine Aussicht genossen, die einen so stillen und beglückenden Zauber besessen hätte wie diese.“

Mark Twain in „Bummel durch Europa“

So kunstvoll lässt sich die Kulisse der Stadt in Worte fassen. Und es ist ein Glück, dass dieses Bild auch noch nach reichlich hundert Jahren so erhalten und gültig ist.

Wir näherten uns der Altstadt an diesem Frühlingstag vom Neckar aus. Über den Fluss hinweg bot Heidelberg uns einen Blick voller Harmonie: Die Bögen der alten Brücke, die weißen Türme des Brückentors, die leuchtenden Fassaden der Gebäude am Ufer, die an den Hang geschmiegten Dächer, die Kirchtürme, die Schlossruine, die Baumwipfel, der Berg – alles scheint, wie für ein Panoramafoto perfekt arrangiert. Abgesehen von den emsig treibenden Schauerwolken ein Bild mit magischer Anziehungskraft. Also nichts wie hinein, in die lückenlos von Häusern flankierten Gassen, die gleich hinter der Brücke beginnen.

Auf dem Marktplatz nieselten ein paar Regentropfen auf uns herab. Unter einem nahen Sonnenschirm fanden wir Schutz und nutzten die Gelegenheit für eine erste Kaffeepause. Ganz zufrieden mit Qualität und Service waren wir nicht, doch der hübsche Marktplatz mit Kirche, Rathaus und Brunnen und auch der Schirm über unseren Köpfen stimmten uns versöhnlich mit der etwas lieblos geratenen Massenabfertigung.

Nebenbei beobachteten wir, wie sich vor der Tür des Rathauses eine kleine Menschenmenge sammelte. Auch eine – vermutlich japanische – Reisegruppe, die gerade über den Platz schlenderte, wurde darauf aufmerksam und gesellte sich hinzu. Alle Indizien sprachen für eine Hochzeit. Sicher würde gleich ein Brautpaar aus dem Standesamt kommen. Hochzeitskleid? Trachtenjacke? Blumenkinder? Viele der Zaungäste machten ihre Handys und Fotoapparate bereit. Die Überraschung war komplett, als das frisch vermählte Paar aus zwei Frauen bestand, die für ihr Jawort keinen übersteigerten Wert auf den Dresscode gelegt hatten. Amüsiert sahen wir zu, wie in der asiatischen Gruppe erst irritierte und dann verwunderte Blicke getauscht wurden. Die Erwartung, ein paar Bilder von einem traditionell deutschen Trauungsritual samt Hochzeitsgesellschaft zu ergattern, zerstob. Trotzdem klickten die Fotoapparate – ob ein Schnappschuss küssender Frauen Stoff für eine Urlaubsanekdote ergab, darüber würde später entschieden.

Wenige Schritte weiter gelangten wir auf den Kornmarkt mit dem Muttergottesbrunnen in seiner Mitte. Von hier aus hat man einen guten Blick zur Schlossruine hinauf. Ein traumhaftes Bild, für das der Kopf jedoch ziemlich weit gehoben werden muss. Sofort stellen sich Zweifel ein, ob der Aufstieg zum Schloss die Mühe lohnt. Doch die Aussicht von dort verspricht einzigartig zu sein. Also los, wir haben einen Schlossberg zu ersteigen!

Ganz so beschwerlich, wie es den Anschein hatte, wurde die Sache jedoch nicht: Es gibt eine Bergbahn, die auch uns dabei half, die rund 80 Meter Höhenunterschied bis zum Schlossniveau zu überwinden. Selbst bis zum Gipfel des Königstuhls kommt man mit den Bergbahnen, die nicht nur Verkehrsmittel, sondern eine eigenständige Touristenattraktion sind.

Als wir an der Talstation der Bergbahn ankamen, stand gerade eine Bahn zur Abfahrt bereit. Wir beeilten uns, zogen rasch am Automaten ein Ticket und sprangen hinein. Ganz klug war das nicht, denn die Bergbahn hat eine für den Unwissenden tückische Tarifstruktur. Wir wussten nicht einmal, wie viele Stationen wir fahren mussten, um zum Schloss zu gelangen. Erst später wurde klar: Es gibt mehrere Haltestellen, einmal zum Schloss, dann bis Molkenkur und nach einem Umstieg weiter bis hinauf zum Königstuhl. Das Ganze lässt sich als einfache Fahrt, als Hin- und Rückfahrt oder als Gesamtbahn buchen. Das alles wussten wir nicht und ich war nur darauf fokussiert, die nächste Bahn zu erreichen. Ich löste Gesamtbahn, einfach – das kann nicht falsch sein – wir fuhren zwei Stationen mit und stellten fest, dass wir schon beim ersten Halt hätten aussteigen müssen, wenn wir zur Schlossruine wollten. Und da wir nur zu einer einfachen Fahrt berechtigt waren, blieb uns der Weg zur Rückfahrt versperrt. Im wörtlichen Sinne: Die Schranke öffnete sich nur für Besitzer einer gültigen Fahrkarte. Nach dieser Erfahrung hatten wir das Tarifsystem begriffen, waren aber nicht gewillt, jetzt schon wieder eine Fahrkarte zu kaufen, die wir gleich hätten viel billiger haben können. Egal, es gab ja noch den Spazierweg durch den Wald, einfach ein Stück den Berg wieder herunter.

Die Schlossruine ist größer und weitläufiger, als es vom Tal den Anschein hat. Ein kleiner, terrassenartig angelegter Park gehört dazu, ein Burggraben mit Brücken und prächtige Tore. Auch gibt es Schlossbereiche, die keine Ruine sind und für touristische, museale oder gastronomische Zwecke genutzt werden.

Zunächst interessierte uns der Ausblick. Hinter der Mauerkante ging er tief hinab zu den Dächern der Altstadt, sprang zum Turm der Heiliggeistkirche, wanderte zum gemächliche fließenden Neckar, schwenkte zu den Berghängen hinüber und verlor sich in der Weite. Gesamturteil: Grandios.

Wir blieben noch eine Weile vor den Toren und umwanderten das Schloss. Es steht wie auf einem Plateau am Hang des Berges, das von massiven, festungsartigen Mauern gestützt wird. Selbst im Park fühlt man sich wie auf einem exklusiven Balkon mit Talblick.

Seltsam auch, wie sich hier Ruinen in romantische Schönheiten verwandeln. Hinter dem Burggraben erheben sich die Reste des Pulverturms. Er sieht aus, wie von einem Schwerhieb gespalten. Etwa ein Drittel der Baumasse ist, wie ein abgeschnittenes Tortenstück, den Hang hinab gerutscht. Das geschah im Pfälzer Erbfolgekrieg im ausgehenden 17. Jahrhundert und so liegen die Trümmer noch heute. Ein bizarres Bild von Zerstörung und Vergänglichkeit und doch irgendwie kunstvoll inszeniert. Auch Goethe fand den Turm einst eindrucksvoll und hat ihn bei einem Besuch gezeichnet. Die nach seiner Auffassung dafür beste Perspektive fand der auf der Brücke über den Schlossgraben – natürlich ist die Stelle für Besucher markiert.

Zwei steinerne Ritter mit Speer und Schwert bewachen das mächtige Tor zum Schlosshof. Von den Schlossbauten umgeben lässt sich erahnen, wie schön und repräsentativ das Schloss in den Zeiten war, als es noch als kurfürstliche Residenz diente. Den Schlussstrich zog die Armee des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. Sie belagerte und zerstörte das Schloss. Nur in Teilen wurde es danach wieder aufgebaut, ein Blitzschlag brachte neue Schäden und nie wieder kehrte der einstige Prunk zurück.

Eine weitere Attraktion möchte ich nicht unerwähnt lassen: Das Heidelberger Fass. Das gigantische Behältnis befindet sich in einem Kellergewölbe und wurde Mitte des 18. Jahrhunderts gebaut. 200.000 Liter Wein sollen dort hineinpassen, doch wie wir erfuhren, wurde es in all der Zeit nur dreimal gefüllt und hat sich stets als undicht erwiesen. Während wir uns der Prozession der Besucher die Treppe hinauf zur Plattform über dem Fass anschlossen, dachten wir, wie wohl jeder, darüber nach, welchen praktischen Nutzen ein Fass dieser Dimensionen haben könnte. Was mag die Erbauer bewogen haben, so ein Monstrum zu zimmern? Offensichtlich wurde schon immer gern mit Superlativen kokettiert. Ohne Zweifel, das Ding macht was her. Es sollte Leute beeindrucken. Womit ich noch einmal auf Mark Twain zurückkommen möchte, damit der Kreis sich schließt. Auch er hatte vor dem Fass gestanden und sich Gedanken über den Sinn und Unsinn dieses Behältnisses gemacht. Er verglich seine Größe mit der einer Bauernhütte und hielt das Prahlen mit dem Fassungsvermögen für völlig bedeutungslos. Unter uns: Man muss es trotz allem einmal gesehen haben.

(c) Lutz Schafstädt – 2023
Unterwegs – Ausflüge und Reiseerinnerungen

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