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Oberhavel: Gransee

Gransee ist eine Kleinstadt im Ruppiner Land, im Norden beginnt gleich Mecklenburg, nach Berlin kommt man entlang der B96 nach rund 60 Kilometern. Die wald- und seenreiche Gegend um Gransee ist seit der Bronzezeit besiedelt, im Mittelalter war die Stadt als Grenzbastion ausgebaut.  


7. März 2021 – Am legendären Wartturm

Wir waren kürzlich erst in Gransee. Letzten Sommer hatten wir bei einem Tagesausflug die Altstadt erkundet und, immer die Stadtmauer entlang, umrundet. Darum soll es heute aber nicht gehen. Vielmehr beschlich mich damals, einige Tage nach unserem Besuch, das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Ich nahm nämlich Fontanes „Wanderungen durch die Mark“ aus dem Regal und wollte nachlesen, wie er Gransee seinerzeit erlebt hat. Fontane hatte sich von Ruppin her genähert und zuerst an einem mittelalterlichen Wartturm Station gemacht, über den er einiges Legendäre zu berichten wusste. Das waren unterhaltsame Zeilen und natürlich dachte ich: Schade, dass wir uns den Turm nicht angeschaut haben. Als wir neulich in der Nähe waren, fiel mir dieser Gedanke wieder ein und ich fragte Google nach dem Weg.

Von der B96 in die Oranienburger Straße, auf die Stadtmitte zu, dann in den Meseberger Weg und weiter bis zur Oberhavel Klinik. Ich fand schon seltsam, keinen touristischen Wegweisern zu begegnen. Ein winziges Schild am Parkplatz der Klinik war der einzige Hinweis. Von hier ging es zu Fuß weiter, einen bewaldeten Hügel hinauf und schon nach wenigen Schritten sahen wir den Wartturm.

Fontane hatte geschrieben, er sei einem Fabrikschlot nicht unähnlich. Jetzt verstand ich, was er meinte. Der Turm ist überraschend schlank, etwa 15 Meter hoch, hat markante Backsteinrippen und ist ansonsten aus Feldsteinen gebaut. Im Inneren verläuft, hinter einer vergitterten Tür, eine schmale Wendeltreppe nach oben. Ein schlichter, funktioneller Bau und über 600 Jahre alt. Zugegeben, keine Sensation. Doch wie beiläufig er hier in Nachbarschaft zum Wasserwerk sein Dasein fristet, mutet schon seltsam an. Nicht einmal eine kleine Infotafel gibt es. Sie könnte davon erzählen, wie dereinst Wächter auf dem Beobachtungsturm nach rauflustigen Adligen, räuberischen Ritterbanden und anderen Bedrohungen für die Stadt Ausschau hielten und mit einem Hornsignal nach Gransee meldeten, wenn es galt, rasch die Tore zu verschließen. Die Zeiten waren unsicher damals, die Grenze zu Mecklenburg nah. Vermutlich führte unweit des Wartturms ein Handelsweg vorbei, von Lindow kommend direkt auf das Ruppiner Tor zu. Es braucht etwas Fantasie, sich diese Szenerie vorzustellen. Heute verlaufen die Verkehrswege woanders und der Standort des Turmes wirkt abgelegen.

Die Aussichtsplattform oben im Wartturm kann nur sehr klein sein. Auf ihr saßen im Jahr 1348, so behauptet die Legende, der Stadtwächter Mathis und der Räuber Hans Lüddecke. Sie sollten sich im Kampf einem Gottesurteil stellen und wurden dabei von den Granseern vom Fuße des Turmes aus beobachtet. Fontane erzählt diese Begebenheit und bezieht sich dabei auf den Dichter Willibald Alexis, der in seinem Roman „Der falsche Waldemar“ der Legende ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Kurz gefasst geht die Geschichte so: Räuber Hans und seine Kumpane wollten Gransee erobern und ersannen eine List, den Wachmann im Turm außer Gefecht zu setzen. Der ein wenig von Langeweile geplagte Stadtwächter Mathis tappte in die Falle – genauer gesagt, blickte zu tief in den Weinbecher und schlief danach seinen Rausch aus. Ohne Vorwarnung fielen die Angreifer über die Stadt her, doch den Verteidigern gelang es, die Räuber abzuwehren und sogar ihren Anführer Hans gefangen zu nehmen. Ein Gericht der Stadt verurteilte den räuberischen Hans und den pflichtvergessenen Mathis zum Tode. Doch es gab, aus unerfindlichen Gründen, ein Zugeständnis: Bei einem Ringkampf auf der Plattform des Turmes sollte Gott entscheiden, wer von beiden in den Tod stürzen und wer frei weiterleben würde. Aber statt miteinander zu kämpfen, saßen Hans und Mathis mit den Vorräten aus dem Turm friedlich beisammen. Sie dachten nicht einmal daran, zu kämpfen. Fünf Tage warteten die Granseer vor dem Turm. Da kam plötzlich mit großem Gefolge Waldemar daher, der Markgraf von Brandenburg.

Natürlich nahm die Sache von hier an eine neue Wendung: Alle Aufmerksamkeit wandte sich dem hohen Besuch zu. Markgraf Waldemar nahm sich der Sache an und ließ Gnade walten. Weder Hans noch Mathis mussten sterben. Unter dem Jubel der Bürgerschaft zog der Landesfürst durch das Ruppiner Tor in die Stadt. Wenig später stellte sich heraus, dass der vermeintliche Markgraf Waldemar ein Hochstapler war. Der falsche Waldemar wurde abgesetzt und der Stadt Gransee auferlegt, als Sühne, den falschen Waldemar mit allen Ehren empfangen zu haben, das Stadttor zu vermauern. Aber hier sind wir schon auf der nächsten Seite einer ganz anderen Geschichte …

Die Jahrhunderte haben historische Ereignisse und volkstümliche Fabulierlust frisch durcheinandergewürfelt. Es ist auch völlig unerheblich, welchen Wahrheitsgehalt diese Überlieferungen haben. Fakt ist, dass, wer diese Legende kennt, anders zur Turmspitze empor und zu den Kirchtürmen der Stadt hinüberschaut. Der Wartturm ist wahrlich kein spektakulärer Bau, doch wurde von ihm aus bereits ins Land geblickt, lange bevor die Stadtkirche in Gransee überhaupt Türme hatte.

Wie gesagt, es ist bedauerlich, dass der Wartturm seinen Besuchern so wenig von sich erzählen darf. Einzig die Denkmalplakette neben der Tür weist ihn als ein Bauwerk mit Geschichte aus. Da ließe sich mehr draus machen. Er ist einer der Letzten seiner Art im Brandenburger Land und ich wünsche ihm wenigstens eine klitzekleine Infotafel. Eine Bank gegenüber der Treppe gibt es bereits. Von ihr aus kann man nach oben zur Turmspitze schauen und darauf warten, dass Stadtwächter Mathis aus einer Wolke darüber herunterwinkt.

(c) Lutz Schafstädt – 2023
Unterwegs – Ausflüge und Reiseerinnerungen

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