Dieser Satz von Tucholsky macht stutzig – doch nur für einen Moment. Dann entfaltet das enthaltene Augenzwinkern seine Wirkung und ich lese das Zitat noch einmal ganz langsam:
„Man muss nicht alles so genau verstehen, lesen genügt auch.“
Kurt Tucholsky (1890-1935)
Gibt es einen tieferen Gedanken zu entdecken? Ich denke nicht. Hier wird vielmehr eine bestimmte Lesergruppe auf die Schippe genommen. Der Spruch von Kurt Tucholsky ist also nicht ganz ernst gemeint. Zum Glück.
Unter seinem Pseudonym Peter Panter schlüpfte Tucholsky in die Rolle des Satirikers und machte sich in „Die losen Blätter der Dame“ (Nr. 4, erschienen 1930) über die schon damals sehr beliebte seichte Unterhaltungsliteratur lustig. Überschrieben mit dem Titel „Narkose durch Bücher“ riet er der gebildeten Dame, ihren Kummer – Liebeskummer ausdrücklich eingeschlossen – und alle Ärgernisse des Alltags durch leichtverdauliche Lektüre zu betäuben. Ablenkung und Zerstreuung seien der Hauptzweck dieser literarischen Gattung, die sich durch gefälliges, elegantes, stereotypes und nicht immer plausibles Dahinplätschern auszeichnet.
Der besagte Text ist amüsant und ich empfehle, ihn nachzuschlagen. Ein weiteres Zitat daraus: „Der Autor schleppt die Liebeskranke (gibts!) durch die Dschungel und durch die Unterwelten der großen Städte; es knallt und es brennt; die Heldin stürzt mit rutschendem Büstenhalter aus dem 44. Stockwerk, und unten wartet der Befreier, weiter! weiter! Die Leidende liest weiter.“
So haben auch Kitsch und Klamauk ihren Sinn und ihre Berechtigung. Schließlich kann jede unlogische Wendung auch als märchenhaftes Wunder verstanden werden. Und bestehe dieses Wunder auch nur darin, die eigenen Sorgen für einen Moment zu vergessen. Deshalb also: Nicht immer alles hinterfragen, einfach zurücklehnen und lesen.
Insofern hat das Zitat doch eine allgemeine Weisheit zu bieten: Eine Geschichte muss weder erbaulich noch gehaltvoll sein, solange es ihr gelingt, dich gut zu unterhalten.
Hier gibt es: weitere Fundstücke.
(c) Lutz Schafstädt – 2025
