Veröffentlicht in der Kurzgeschichtensammlung „Expedition“.
Ein Spaziergang durch Kindheitserinnerungen:
Ein lauer Sommertag am Rande des Dorfes. Viele Jahre war ich nicht mehr hier. Spatzen schwirren aus ihrem Versteck im Holunder, es duftet nach frischem Heu. Frösche quaken im von wuchernden Brennnesseln gesäumten Graben neben dem Weg. Gleich muss ich an der kleinen Brücke sein, die auf die Wiesen führt. Ich atme tief, öffne zwei Knöpfe an meinem Hemd. Ein Lüftchen rauscht durch die Gräser, streichelt kühl meine Brust, wirbelt vergessene Bilder und Gefühle auf.
In mir spult die Zeit zurück. Ich spüre, wie die Welt sich reckt und der Himmel sich weitet. Die Bäume und Büsche schrumpfen, die Wiesen verwandeln sich in Koppeln mit weidenden Kühen. Unter mir wölbt sich der Asphalt, wird zum schwarzen Morast eines ausgefahrenen Feldweges, mit Pfützen in den Mulden breiter Reifenspuren und zermalmt von den Klauen der Rinder. Schon meine ich, meine nackten Kinderfüße in diesem Brei versinken zu fühlen. Von mir fällt ab, was an Gegenwart an mir haftet. Ich winde mich von mir los und schaue mir nach, wie ich mit dem ungestümen Elan eines Elfjährigen ins Dorf laufe. Gedankenstaub wirbelt auf, trübt für erwartungsvolle Sekunden die Sicht. Ich sehe mich nicht mehr, bin hinter der windschiefen Scheune verschwunden, die sich eben aus dem Dunst erhoben hat. Die drei Linden mit ihren gestutzten Kronen sind wieder da, der rostrot getünchte Lattenzaun, das vielstimmige Kläffen der Hunde ...
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