Schlösser und Parks prägen Potsdam – und die Hohenzollernresidenz prägte auch die Landschaft drumherum. Die gestaltende Hand der Gartenmeister ist auch an Orten präsent, an denen man meint, mitten in der Natur, in Feld und Flur zu sein.
April 2021 | Wir sind am Neuen Palais, hier ist der touristische Haupteingang zum Park Sanssouci. Die Lindenallee wirkt hier gänzlich unscheinbar und fällt nur dem auf, der nach ihr Ausschau hält. Zwar beginnt sie hinter dem Triumphtor als Verlängerung der Parkachse, doch wirklich als Spazierweg erlebbar wird sie erst hinter der verkehrsreichen Straße am Uni-Campus.
Es ist Karfreitag, wir wollen an die frische Luft und dabei größere Menschenmengen meiden. Wegen Corona wird vom Besuch all der beliebten Ausflugsziele abgeraten, kontaktarme Wanderungen stehen hoch im Kurs. Wir fahren zum Neuen Palais nach Sanssouci, kehren dem Park den Rücken und schlendern endlich einmal durch die Lindenallee.
Die Lindenallee ist die schnurgerade Fortsetzung der Parkpromenade von Sanssouci in die Landschaft hinaus. Vom Springbrunnen im Park die Freitreppe des Neuen Palais hinauf, mitten durch den Muschelsaal, über den Ehrenhof, durch den Triumphbogen und hinaus Richtung Golm. Die Linden stehen in strenger Ordnung und bilden eine schier endlose Allee. In vier parallelen Reihen stehen die Bäume für drei Wege Spalier. Tatsächlich sind es gut zwei Kilometer, bis die Lindenallee kurz vor der Ortschaft Golm in den Kuhfortdamm mündet. Doch zunächst ist das für uns nur ein kleiner Lichtpunkt am Ende der Sichtachse.
Vom Neuen Palais gesehen, ist der Weg auf der rechten Seite als Fahrradweg ausgebaut. Auf dieser Schnellpiste nach Eiche und Golm tummeln sich die Drahtesel und ihre rollende Verwandtschaft. Die mittlere Spur ist breiter als die beiden Seitenpisten und von Gras überwachsen. Der dritte Weg, ganz links, wird vorzugsweise von Wanderern und Gassi-Gehern genutzt. Hier gesellen wir uns dazu.
Nach ein paar Sportanlagen der Uni Potsdam wird es kurz waldig, dann öffnet sich der Blick. Hinter Wiesen und Feldern ist das Dorf Eiche zu sehen, auf der anderen Seite die Bahnstrecke, die nicht weit entfernt am Kaiserbahnhof Station macht. Hinter den Gleisen beginnt der große Wildpark.
Es ist ein schöner Spaziergang. Die Strenge der Allee löst sich in der Landschaft auf. Auf den Wiesen grasen Pferde, hinter dem Kirchturm von Eiche erhebt sich ein bewaldeter Hügel. Weiße Wolkenschäfchen ziehen über den blauen Himmel und dosieren den Sonnenschein. Schneeglöckchen, Winterlinge und Blausternchen blühen. Die Lindenknospen plustern sich, der Regionalexpress rumpelt vorbei.
Die Anfänge der Lindenallee gehen in die Bauzeit des Neuen Palais im 18. Jahrhundert zurück. Gartendirektor Lenné hatte ursprünglich vor, den Schlosspark von Sanssouci nach Westen zu erweitern, doch es blieb bei einer kurzen Allee mit zwei Baumreihen, einigen Wegen und Hecken. Ab 1866 nahm sich Hofgärtner Sello der Sache an und schuf die Lindenallee in ihrer heutigen Länge und Gestalt. Dabei standen vor allem ästhetische Aspekte im Vordergrund, an eine Verkehrsfunktion war nie gedacht. Die Parkelemente sollten allmählich in Äcker und Felder übergehen, der Blick von der Nähe in die Ferne, vom Detail zum Panorama gelenkt werden.
Die Lindenallee ist ein herausragendes Beispiel für die gerühmte Potsdamer Kulturlandschaft. Gärtnerisch gestaltete Flächen verbinden sich mit der sie umgebenden Landschaft und werden mit Sichtachsen inszeniert. Ich habe gelesen, die Allee habe eine große kultur- und gartenhistorische Bedeutung. Es gibt noch ein paar Dissonanzen, wie zum Beispiel die Zweckbauten und Sportflächen der Uni direkt hinter den Communs am Eingang zur Lindenallee, aber sie werden künftig sicher schrittweise gemildert. Somit leidet derzeit am Anfang das Parkgefühl, doch der Spaziergang wird immer angenehmer, je mehr Landschaft ins Spiel kommt. Die Allee endet am Kuhfortdamm. Die Straße schneidet sie einfach ab. Linksherum führt sie weiter nach Golm, rechtsherum zum Bahnübergang. Es bietet sich an, für den Rückweg durch den hinter der Schranke beginnenden Wildpark zu wandern. Der Weg ist etwas länger, doch die Wanderung durch den königlichen Wald bis zum Kaiserbahnhof ist eine Attraktion für sich. Wir entscheiden uns dagegen, wollen in der Sonne bleiben, und erleben die Lindenallee noch einmal aus der reizvollen Perspektive, sich mit jedem Schritt dem Schloss zu nähern und die goldene Krone auf der kupfergrünen Kuppel des Neuen Palais zwischen den Zweigen im Sonnenlicht strahlen zu sehen. Apropos Zweige: Wir werden noch einmal wiederkommen, wenn die Linden Blätter tragen und mit ihren Wipfeln zum Dach über den Wegen geworden sind.
Siehe auch: #potsdamerkulturlandschaft
Zurück zu: Unterwegs – Ausflüge und Reisen
(c) Lutz Schafstädt – 2023