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Zwei Gehirnhälften und Künstliche Intelligenz

Ich habe neulich einen Podcast gehört, in dem erläutert wurde, wie unsere beiden Hirnhälften beim Sprachen lernen zusammenarbeiten müssen. Das war ein Denkanstoß, der mich an Vera F. Birkenbihl und ihr Buch „Stroh im Kopf?“ erinnerte – ihre „Gebrauchsanleitung fürs Gehirn“. Sie sprach dabei von Herrn Links und Frau Rechts und erklärte vor allem Techniken und Übungen, wie wir die beiden Hälften unseres Hirns zu besserer Zusammenarbeit veranlassen können.

Ich verstehe das so: Wenn wir annehmen, dass Herr Links für das analytische Denken, die Logik, die Fakten, den nüchternen Verstand, also alles Digitale (Sprache, Abstraktion, Ratio, Zeit) in unserem Denken zuständig ist und sich Frau Rechts um die Synthese, die Verbindungen, die Zusammenhänge, die Intuition, Imagination, Kreativität, mithin alles Analoge (Kunst, Musik, Tanz, Raum) kümmert, dann folgert sich: Wer seinen Schwerpunkt nur auf eine Seite des Denkens legt, verschwendet sehr viele Kapazitäten. Eigentlich die Hälfte.

Das Modell der zwei arbeitsteiligen Hirnhälften ist neurowissenschaftlich nicht belegt und gilt in seiner schematischen Vereinfachung als überholt. Dennoch bildet es für mich den unterschiedlichen Charakter von Denkprozessen sehr plastisch ab. Die Verortung nach links und rechts kommt als Modell vermutlich der räumlichen Denkweise von Frau Rechts entgegen, wobei Herr Links darauf verweist, dass die Sache doch um einiges Komplexer ist und für ein abschließendes Urteil die Datenlage nicht ausreicht.

Wie auch immer. Offensichtlich steckt noch ganz schön viel Geheimnis darin, wie in unseren Hirnen das Denken verläuft, wie wir aus gesammelten Informationen neue Ideen entstehen lassen. Aus Digitalem und Analogem machen wir in unseren Köpfen Intelligenz. Dieser Gedanke gibt mir ein gutes Gefühl, gerade vor dem Hintergrund der Diskussionen um Künstliche Intelligenz.

Viele treibt die Sorge um, die KI sei ein Angriff auf die menschliche Kreativität. Kultur und Kunst, Literatur und Sprache, die Musik, die Malerei, die Bildhauerei – alles, womit wir Identität, Gefühl und Haltung ausdrücken, könne nun von Maschinen übernommen werden. Und es ist keine unbegründete Sorge, es passiert in dieser Richtung gerade wirklich viel. Was die KI-Tools an vermeintlich Kreativem generieren, ist überraschend. Wer sie ausprobiert, ist ernüchtert und fasziniert zugleich. Herr Links in unserem Kopf macht augenblicklich eine Checkliste, welche Kompetenzen und Berufe fortan überflüssig werden. Frau Rechts stellt sich vor, wie eigene Schwächen und Defizite nun behände überwunden werden und bisher unzugängliche Gefilde plötzlich mühelos erreichbar sind. Nicht malen zu können, ist kein Hindernis mehr, wenn es darum geht, einem Bild im Kopf Gestalt zu geben. Schreiben kann jetzt jeder, der eine ungefähre Vorstellung davon hat, was er sagen will. Nicht einmal das ist nötig. Schreib als Schüler den Wortlaut der Hausaufgabe einfach in das Eingabefeld – du bekommst deine Antwort, selbst wenn die Frage oder enthaltene Fremdwörter für dich böhmische Dörfer sind. So ist die schöne neue Welt: Wenn du einen Prompt (deinen Wunschzettel an die KI) eintippen kannst, kommst du an dein Ziel. Und wenn der erste Versuch fehlschlägt, der Chatbot lässt mit sich reden. Immer wieder, bis alles passt. Talent und Wissen sind zweitrangig, kannst du runterladen.

Doch zurück zu den zwei Hirnhälften und dem Gedanken, der mir ein gutes Gefühl gibt. Alles, was KI kann, ist digital. Das liegt in der Natur der Sache, der Hardware, die wir nutzen. Herr Links ist am Werk. Er sammelt Daten, wertet aus, analysiert, systematisiert, abstrahiert. Immer mehr, immer schneller. Er simuliert, imitiert und konkludiert, indem er Algorithmen folgt, und liefert Ergebnisse. Diese Ergebnisse haben jedoch unterschiedliche Qualität, besonders, wenn es vermeintlich kreativ wird. So kann die KI schon einmal völligen Unfug erzählen oder sich beim Malen im Van-Gogh-Stil bei den Fingern an den Händen verzählen. Die Systeme optimieren und korrigieren sich selbst – und sie werden künftig viele nützliche Dinge tun, vor allem in Bereichen, wo es um die Analyse und das Handling großer Datenmengen geht oder bei Aufgaben, die uns schon immer gelangweilt haben. Ich stehe diesen neuen Werkzeugen aufgeschlossen gegenüber und nutze sie aktiv. Es ist angenehm, mit dem Chatbot zu plaudern, wie man es mit dem Kollegen am Schreibtisch gegenüber auch tun würde. Er hilft, ist nützlich, beschleunigt Arbeitsprozesse, löst Denkblockaden, macht Spaß, nimmt ohne zu murren die Rolle an, die ich ihm zuweise. Er ist ausgesprochen höflich und nett – und wenn er Vorschläge für mich hat, bedanke ich mich freundlich und bedenke seinen Rat.

Was den kreativen Bereich betrifft, mache ich mir keine Sorgen um die Rolle des Menschen dabei. Klar, man kann die KI komponieren oder komplette Romane schreiben lassen. Doch je mehr KI-generierte Texte und Bilder ich sehe, desto öder empfinde ich sie. Denn KI lernt nicht, sie wird trainiert. Sie wird mit Daten, Beispielen, Vorbildern, Varianten, Mustern gefüttert und zerkaut es zu einem Einheitsbrei. Sie orientiert sich dabei an Stilen, an Konventionen, an Regeln – an all dem Quatsch, den sich wirklich kreative Leute aneignen, um ihn möglichst schnell hinter sich lassen. Es ist, als müsse man beim ersten Strich auf der Leinwand alle Standardwerke für Kunstgeschichte berücksichtigen oder für das Schreiben des ersten Wortes einer Kurzgeschichte alle Tipps aus Schreibratgebern im Hinterkopf haben. Alles richtig, alles bedacht, das verfügbare Wissen angewandt. Wie langweilig! Nur für Handbücher, Geschäftsberichte und Werberamsch zu empfehlen.

Inzwischen fällt es mir recht leicht, Bilder und Texte aus einer KI-Werkstatt zu erkennen. Sie sind so aalglatt, so immer gleich, so geschliffen korrekt, so keimfrei sauber. Sie sind digital. Herr Links ist bei der Arbeit, auf der Suche nach der Perfektion. Immer akkurat und präzise. Doch er kann nicht erfassen, was Frau Rechts mit einem Bild oder einem Gedicht sagen wollte. Er weiß nur, wie und womit sie es gesagt hat, nicht, was sie denkt und fühlt. Er kennt nur Form, keinen Gehalt. Er weiß alles von den Mechanismen und nichts über die Intentionen. Jedenfalls noch nicht. Und das gibt mir ein gutes Gefühl.

KI kann im Handstreich 300 Buchseiten mit Wörtern füllen, wie sie Fontane benutzt hätte, und eine logische Handlung mit Drei-Akt-Struktur erstellen. Man kann es einen Roman nennen, Literatur ist das nicht. Aber da sind wir schon auf einem anderen Schauplatz, denn auch Menschen schreiben schlechte Bücher nach Schema F. Sie brauchen nur länger dafür. Brauchten – jetzt gibt es den Booster, der bläst die Seiten voll. Notgedrungen verlieren auf diese Weise erst die Leser und dann auch die Autoren die Lust. Übrig bleiben Leute, die Bücher machen lassen. Wozu auch immer.

Ich bleibe trotzdem Optimist – auch was die Nutzung beider Hirnhälften bei uns Menschen betrifft. Unsere Werkzeuge werden zunehmend digital, gerne können wir sie künstlich und intelligent nennen. Wenn wir genug mit ihnen gespielt haben und versiert in ihrer Handhabung sind, werden sie uns im Sinne von Herrn Links gute Dienste leisten – sachlich, vernünftig, logisch, effizient. Sollte ich eines Tages das Gefühl haben, die Künstliche Intelligenz hat die Arbeitsweise von Frau Rechts begriffen, und sie beginnt selbst zu spielen und sich auf meine Fragen mit dem Versprechen zu verabschieden, sie lasse sich etwas für mich einfallen – dann melde ich mich wieder. Dann werde ich die Sache mit dem guten Gefühl in Sachen KI noch einmal überdenken.

(c) Lutz Schafstädt – 2024
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