Confidence ist ein schönes englisches Wort. Wir übersetzen es mit Zuversicht, doch steckt viel mehr an Bedeutung darin. Confidence ist Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Optimismus, Selbstsicherheit, Zutrauen zu sich selbst. Ja, sogar Glaube gehört dazu, der Glaube an sich selbst, etwas mit innerer Überzeugung tun. Mit Freude, mit Neugier, ohne Angst, ohne Zweifel.
Darüber habe ich heute nachgedacht. Meine Erkenntnis: Confidence, die ihr innewohnende Selbstgewissheit, ist eine grundlegende Voraussetzung jeder kreativen Tätigkeit. Das beherzte Anfangen, das Hören auf die innere Stimme, das Schöpfen aus sich selbst, erscheinen mir als die wichtigsten Faktoren, um etwas Neues, etwas Eigenes zu schaffen.
Das klingt zunächst etwas naiv. Natürlich plädiere ich damit nicht für das unbedarfte Loslegen ohne jegliche Kompetenz. Lernen gehört dazu. Doch bereits hier, beim Aneignen von Wissen, kommt Confidence ins Spiel. Kinder haben sie – und brauchen sie, wenn sie grundlegende Fähigkeiten, wie zum Beispiel das Sprechen, lernen. Das passiert spielerisch und mit großer Selbstverständlichkeit. Sie ahmen Laute nach, ordnen ihnen Bedeutung zu und bereits mit kleinstem Wortschatz beginnen sie, sich mitzuteilen. Es ist ein kleines Wunder, wie schnell das geht. Es ist faszinierend, wie Kinder eigene Begriffe erfinden, um noch vorhandene Lücken zu füllen. Wir Großen freuen uns über putzige Wortschöpfungen der Kleinen, doch im Grunde ist hier Kreativität in Höchstform am Werk.
Noch unglaublicher scheint diese Leistung, wenn wir sie zum Beispiel damit vergleichen, wie wir uns als Erwachsene üblicherweise eine Fremdsprache aneignen. Da ist oft die spielerische Inbesitznahme verschwunden, da werden Grammatik und Vokabeln mühsam gepaukt. So kann es passieren, die neue Sprache bleibt selbst nach Jahren des Lernens außerhalb des Kurses ein Mysterium und man zweifelt an seinen Fähigkeiten. Was folgt, ist der allbekannte Teufelskreis: Der Student traut sich nicht zu sprechen, weil er meint, noch nicht genug Vokabeln zu kennen oder fürchtet, am Satzbau zu scheitern. Doch die Angst, Fehler zu machen oder ausgelacht zu werden, verschwindet nicht. Was verschwindet, sind die bereits erworbenen Kenntnisse, die mangels Nutzung nie zu Fähigkeiten werden.
Hier stehen wir vor dem Kardinalproblem der Wissensvermittlung. Doch darum geht es mir nicht. Ich möchte nur festhalten: Das Lernen ist unverzichtbar und seit Generationen tüfteln Experten daran, erfolgreiche Konzepte dafür zu entwickeln. Und sie werden immer besser darin, die Balance zwischen Lehrplan und Neugier, zwischen Vorbeten und Erkunden zu finden. Didaktik und Methodik. Machen wir einen Bogen darum.
Jeder Mensch braucht Wissen und Können, um seine Talente zu entfalten und seinen Platz im Leben zu finden. Lernen und ausprobieren, Fehler machen und scheitern, einen neuen Anlauf machen. Das erfordert Kraft und Mut und Zuversicht. Dem Kreativen muss es zudem gelingen, aus dem dozierten „so macht man das“ sein unverwechselbares „so mache ich das“ werden zu lassen. Da ist Confidence gefragt, und zwar so viel, wie sich nur irgend auftreiben lässt. Wo sie fehlt, sieht es schlecht aus. Wer sie hat, muss sie sorgsam behüten, denn sie ist sehr fragil.
Ich finde es äußerst wichtig, sich die Rolle der Confidence bewusst zu machen. Ohne sie bleibt die Kreativität auf der Strecke. Darauf will ich vor allem aufmerksam machen, denn ich selbst habe eine Weile gebraucht, bis es Klick gemacht hat. Als ich mit dem Schreiben anfing, war ich jung und sorglos. Ich schrieb, wie es mir in den Sinn kam, ohne mich um Ratgeber und Regeln zu kümmern. Ich wusste, es gab Konventionen und Schreibhandwerk, doch mir genügte es, einfach viel zu lesen und zu schreiben und ansonsten meiner Intention zu folgen. Ich experimentierte, spielte mit Form und Sprache, füllte Heft um Heft, und träumte davon, irgendwann einmal einen dicken Roman zu schreiben. Bis dahin wanderte alles in die Schublade und ich fand mich genial. Mit meiner Selbstgewissheit stand es top, ich sah keinen Grund, an mir zu zweifeln. Ich verstand mich als Anfänger, doch ich schrieb mir enormes Talent zu und was ich technisch noch nicht draufhatte, würde ich im Handumdrehen lernen, wenn es an der Zeit war. Keine Probleme in Sicht. Vielleicht war es aus heutiger Perspektive etwas anmaßend und selbstverliebt. Doch ein wenig Hybris kann im Grunde nicht schaden. Ich war produktiv und sprühte vor Ideen. Diese optimistische Selbstwahrnehmung setzte Energien frei und brachte mich voran. Warum auch nicht? Sollte ich falsch liegen, würde die Wirklichkeit ganz zwangsläufig irgendwann zeigen, wie es um Talent, Einmaligkeit und Erfolg tatsächlich für mich bestellt ist.
Später, nach einigen kleinen Erfolgen bei Schreib-Challenges im Internet, wollte ich besser werden und etwas Know-how in mein Hobby holen. Ich schloss mich einer Online-Schreibgruppe an, die sich der handwerklichen Seite des Schreibens widmete. Das Rüstzeug wollten wir uns aneignen, um professionell zu werden. Werkzeuge erkunden, benutzen und funktionsfähig halten. Charaktere entwerfen, Plots entwickeln, Erzählperspektiven, Zeitformen, Dramaturgie, Genre-Konventionen. Es ist beachtlich, was ein werdender Schriftsteller alles wissen soll. Und ich wollte es sogar können. Wir haben in der Schreibgruppe immer wieder Übungen gemacht, uns Aufgaben gestellt und sie uns dann gegenseitig kritisch um die Ohren gehauen. War ich zunächst mit Feuereifer dabei, wurde ich zunehmend verkrampft. Ich versuchte, das Gelernte akribisch zu berücksichtigen, gleichzeitig verstärkte sich das Gefühl, noch nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das sich auch auf andere Mitglieder der Gruppe auszuweiten schien. Nicht beirren lassen, redeten wir uns ein, diese Unsicherheit ist normal. Einfach alle Ratschläge beherzigen und folgsam lernen. Noch eine Übung für alle. Zwei Seiten Text in die Gruppe senden und acht Leute fallen darüber her und fachsimpeln, was sie für misslungen halten und was man wie selbst besser gemacht hätte. Die dauernde Kritik tut weh. Wir vereinbaren, dabei nicht mehr zu offensiv zu sein. Wir wollen lieber Fragen stellen. Doch eine Frage nach jedem Halbsatz, an jedem überflüssigen Adjektiv und dicht gedrängte Alternativvorschläge in der Kommentarspalte, das wirkt vernichtend. Das pulverisiert jedes Selbstvertrauen, weiß ich heute. Schlimmer noch. Der Weg führt geradewegs in Schreibblockaden und wenn nicht das, dann in hölzerne Texte, weil man sich verkrampft an die vielen gelernten Regeln halten möchte. Auf Biegen und Brechen. Erst gedanklich, dann körperlich.
Wie das endet? Zum Beispiel in unzähligen Stunden, in denen man nach dem besten Einstieg in eine kleine Geschichte sucht. Nicht mit dem Wetter beginnen! Szenisch sein und überraschend! Info-Dump vermeiden! Bereits im ersten Absatz einen Hook setzen, der den Leser zum Weiterlesen animiert … Die Schreibratgeber sind voll davon und weil ich die schlauen Tipps ernsthaft beherzigen will, verhindere ich, dass ich zu erzählen beginne. Die Verkrampfungen, sprachliche Verrenkungen, der schlechte Text sind vorprogrammiert – und ich spüre es selbst und sage mir irgendwann: Ich kann es nicht. Eine Idee nach der anderen verwandelt sich in ein Fragment, bei dem ich nicht weiterkomme. Vielleicht später, irgendwann nehme ich den Faden wieder auf.
Es ist nicht leicht, einen Ausweg aus dieser Falle zu finden, wenn sie erst einmal zugeschnappt hat. Die Psyche, das Unterbewusstsein, die Schere im Kopf, der innere Lektor sind hartnäckige Kontrahenten, wenn sie entsprechend konditioniert sind. Dabei ist die Antwort ganz einfach: Es gibt ihn nicht, den richtigen Anfang, den perfekten Text. Es gibt immer nur meinen Anfang, meinen Text. Den kann man verbessern, verändern, doch es wird ihm, dem Text, nie gelingen, allen Schreibregeln oder gar den Erwartungen der Leser umfassend gerecht zu werden. Die Regel ist niemals „so schreibt man das“, sondern immer und zuerst „so schreibe ich das“. Mit Confidence. Mein Text, meine Geschichte, wie ich sie erzähle. Mit meinen Worten, auf meine ganz eigene Art, mit Vertrauen auf meine innere Stimme. Meinetwegen sogar mit Selbstüberschätzung, in jedem Fall aber ohne Versagensangst.
Es ist der falsche Zeitpunkt für Werkstattgespräche, Analyse und Kritik. Noch geht es darum, einem Text Gestalt zu geben, ihn in eine Form zu gießen. Es ist noch völlig offen, ob das Ergebnis gut oder überhaupt gelungen ist. Das zu beurteilen, gehört in eine ganz andere Phase des Schreibprozesses – nämlich an das Ende, wenn die Geschichte erzählt ist. Bei der Überarbeitung werde ich hoffentlich selbst spüren, wo etwas knirscht im Gebälk, wo Verbesserung oder Streichungen angeraten sind. Was Lektoren und Testleser sagen, steht auf dem wiederum nächsten Blatt. Im Schreibprozess muss das Ich dominieren. Klingt leicht, ist es aber nicht. Hilfreich ist jedoch, sich dieser Tatsache stets bewusst zu sein.
Ich habe seinerzeit den Rat befolgt, möglichst viele Romananfänge berühmter Schriftsteller zu lesen. Den ersten Satz, den ersten Absatz. Das ist interessant und inspirierend. Es gibt Phantastisches und Bewundernswertes zu entdecken, doch dem eigenen Schreiben hilft es nur indirekt, indem es das Gefühl für Sprache und Form trainiert. Darüber hinaus will ich doch meine eigene Stimme hören lassen. Es hat gedauert, bis ich das wirklich verinnerlicht hatte.
Deshalb muss gelten: Ich klopfe nicht die unendlich vielen Möglichkeiten ab, wie ich den ersten Satz formulieren könnte und schraube dann ewig an der besten Position für jedes einzelne Wort, sondern schreibe den ersten Satz so auf, wie er mir in den Sinn kommt. Er muss nicht druckreif sein. Ich kann darauf vertrauen, dass er bereits von der Idee gefärbt ist, die ich für die Geschichte habe und von den ersten Szenen, die mir im Kopf unsortiert umherschwirren. Wenn mir dann eines Morgens beim Frühstück etwas Besseres einfällt, dann tausche ich es eben aus. Streichen, verbessern, verwerfen stehen mir doch immer frei. Aber meine eigene Stimme wird nur hörbar, wenn ich sie benutze. Merkt ihr es auch? Die Confidence ist wieder da.
Und wenn ich fleißig und lange weiterschreibe, dann werden irgendwann andere Schreibanfänger die Auftaktsätze meiner Geschichten lesen und ergründen wollen, wie ich das gemacht habe. Ausgedacht und aufgeschrieben. Von mir, mit meinen Worten.
Es gibt schlechte Texte, weiß Gott, vielleicht sind auch meine Müll. Einmal veröffentlicht, müssen sie sich der Kritik der Leser stellen. Besondere Rücksichtnahme, weil Autoren so empfindsame Leute sind, ist hier nicht zu erwarten. Es gilt, sich etwas Selbstgewissheit auch für diese finale Phase des kreativen Schaffens zu bewahren. Eine negative Rezension oder eine despektierliche Lesermeinung lässt zumindest die Vermutung zu, da hat jemand meine Geschichte gelesen und sich gedanklich mit ihr auseinandergesetzt. Nicht wahrgenommen werden ist schlimmer.
Und selbst dann gibt es Grund sich selbst neu zu motivieren: Die nächste Geschichte wird besser. Meine Ideen sind brillant. Die Charaktere werden großartig. Das Projekt wird der Clou. Weil ich es draufhabe. Weil ich mich nicht beirren lasse. Weil ich mir treu bleibe. Weil ich unique bin – und full of confidence.
So will ich es künftig halten.
(c) Lutz Schafstädt – 2024
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