Zum ersten Mal bin ich dem Roman einigen Jahren bei der Aktion “Eine Stadt liest ein Buch” in Potsdam begegnet. Als ich die Verfilmung gesehen und an meinen Erinnerungsvermögen gezweifelt hatte, habe ich den Vorleser noch einmal zur Hand genommen und empfehle allen, die nur den Film kennen, ganz nachdrücklich das Buch.
“Der Vorleser” ist die Geschichte von Michael und Hanna. Ende der 50er Jahre ist er ein Gymnasiast, sie eine Straßenbahnfahrerin. Aus ihrer Begegnung wird eine ungewöhnliche Beziehung. Hanna ist mehr als doppelt so alt wie Michael. Ihre Liebe bleibt geheim und es beginnt ein seltsam anmutendes Ritual: Vorlesen wird auf Drängen Hannas zum festen Bestandteil ihrer intimen Begegnungen. Eines Tages ist sie plötzlich spurlos aus der Stadt verschwunden.
Erst als Jurastudent sieht Michael sie nach Jahren wieder. In einem Auschwitz-Prozess steht Hanna als Aufseherin unter Anklage. Ihr Verhalten vor Gericht gibt ihm Rätsel auf, bis er erkennt, dass sie Analphabetin ist. Sie nimmt ihre Verurteilung zu lebenslanger Haft in Kauf, um dieses Geheimnis zu hüten.
Michael indes kommt von der Erinnerung an Hanna nicht los. Er bleibt ihr Vorleser und schickt ihr besprochene Kassetten ins Gefängnis …
Der Roman thematisiert Vergangenheitsbewältigung und Generationskonflikte im Nachkriegsdeutschland am Beispiel einer ungewöhnlichen Liebe jenseits der gesellschaftlichen Norm. Die zeittypischen Vorwürfe der Jugend an die Vätergeneration überlagern sich mit neuen Fragestellungen, als Michaels Liebe selbst der Bewältigung bedarf. Die Vergangenheit hat ihn vereinnahmt, in die Ereignisse verstrickt und hält ihn gefangen.
Es ist ein Buch, das sich nur schwer wieder aus der Hand legen lässt. Ich habe es nahezu in einem Zug gelesen. Hannas Geheimnis wird schnell klar, doch zu welchen Konsequenzen es in ihrem Leben führt, fesselt anhaltend. Ein Lesegenuss, der gegen Pauschalierungen sensibilisiert.
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(c) Lutz Schafstädt – 2021
Meine Lesezeichen – Gedanken über Bücher