Im Garten von Brechts Sommerhaus in Buckow, in der Märkischen Schweiz, wurde eine Stahlplatte am Wegesrand platziert, in die sein Gedicht „Tannen“ eingraviert ist. Beim Lesen steht man mit dem Rücken zum Landhaus, mit der Nase Richtung Osten, dem Schermützelsee zugewandt und kann nach dem Betrachten der wenigen Zeilen den Blick für einen Moment des Nachdenkens in die Weite schweifen lassen.
Vor einem halben Jahrhundert waren auch meine Augen jung. Sehe ich heute anders als damals? Ich denke, ja. In der Jugend schaut man optimistisch in die Welt, weil sie voller Zukunft ist. Tatendurstig strebt man seinen Zielen zu. Dann kommen die Wirrnisse des Lebens, die Erfolge und die Niederlagen, die Glücksmomente und die Enttäuschungen und jedes neue Erlebnis verändert die Sicht. So altern die Augen und reift der Blick, auch ohne in die Fratze eines Krieges geschaut zu haben.
Als ich vor der Tafel stand, war ich gerade zur Reha in Buckow, das Ringen mit meiner tückischen Krankheit stand noch unentschieden. Ich war zu dieser Zeit sehr geübt darin, innerlich Rückschau zu halten und Bilanz zu ziehen. Das macht empfänglich für Elegien – und Brecht erreichte mich ganz unmittelbar, mit jedem einzelnen Wort.
Das Gedicht gehört zu den „Buckower Elegien“ von Bertolt Brecht, die 1953 entstanden, während des Sommers nach den Ereignissen vom 17. Juni in der DDR. Brecht zog sich für Wochen in sein Refugium zurück. Das war für ihn offensichtlich eine intensive Zeit des Hinterfragens und der Zweifel. In dieser Phase sind viele sehr schöne Gedichte entstanden. Auch „Tannen“ wirkt nicht pessimistisch auf mich. Junge Augen mit einem frühen Blick auf Tannen (die dann vielleicht nicht einmal kupfern sein müssen) wird es immer geben, auch wenn die eigene Sicht auf die Dinge in die Jahre gekommen ist. So ist der Lauf der Welt. Zum Glück.
(c) Lutz Schafstädt – 2021
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