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Ein Gefühl wie Herbst

„Leben ist Einsamsein“ – so fühlte Hermann Hesse bei einem Spaziergang im Nebel. Der Herbst ist die Jahreszeit von Schwermut, Traurigkeit und Nachdenklichkeit. Feuchtigkeit und Verfall allerorten, Kälte und Dunst springen uns an, an so etwas wie Endlichkeit haben wir im Sommer keinen Gedanken verschwendet. Das Gedicht verbreitet eine so nachfühlbar melancholische Stimmung, dass ich es mir als Fundstück aufbewahren will:

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, Im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

Hermann Hesse (verfasst 1905)

Zugegeben, diese Zeilen sprühen nicht gerade vor Optimismus und nicht jedem mögen die beklemmenden Gefühle behaglich sein, die sie verbreiten. Und doch wirken diese Gefühle vertraut. Sie sind wahr und echt und gehören zum Herbst wie zum Leben. Hesse beklagt nicht, er konstatiert. Der Lebenskreis schließt sich, alles und jedes fällt auf sich zurück. Tröstlich ist, dass die Tage im Nebel für die meisten Menschen selten sind. Gänzlich verhindern lassen sie sich nicht. Letztlich sind wir allein.

(c) Lutz Schafstädt – 2021
Hier kannst du weitere Fundstücke finden.

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